PUBLIKATION

Zuger Neujahrsblatt

ZUSAMMENARBEIT

Rolf Moser (Fotografie)

TEXT

Sabine Windlin

DATUM

1.1.2010

DAS WEITE SUCHEN

 

Nina Staehli formt, modelliert und giesst ihre mal hoch obskuren, mal rührend schlichten Objekte, um sie später an den verschiedensten Orten der Welt zu kontextualisieren oder in Galerien auszustellen.

 

Da ereignete sie sich neulich wieder, die Szene am Zoll. Der Beamte interessierte sich dergestalt für den Inhalt von Nina Staehlis Koffer, dass sie nicht wusste, ob sie sich ärgern oder darüber lachen sollte. Was da in der Plastverpackung stecke, wo sie das seltsame Ding erstanden und welchen Wert es habe. Die 48-jährige Künstlerin blieb gelassen und antwortete: «Ein Schwein aus Gips. Selber gemacht. Unbezahlbar.»

 

Schliesslich war es nicht das erste Mal, dass sie von den eidgenössischen Zollbehörden am Zürcher Flughafen aufgehalten und über mitgeführte Gegenstände ausgefragt wurde. «Immer locker bleiben», sagt sie dann zu sich selber. Wo käme sie hin, wenn sie sich von den völlig willkürlich erfolgten Gepäckkontrollen internationaler Flughäfen jedes Mals ins Bockshorn jagen lassen würde? Nina Staehli ist oft am Reisen. Die seltsamen Objekte in ihrem Koffer sind ihre Kunst.

 

Nach dem Koffer packen ist vor dem Koffer packen. Für die Chamer Künstlerin ist diese Formel charakteristisch. Ihren Lebensmittelpunkt hat sie in Berlin, regelmässig aber kommt sie nach Cham, wo sich ihr Atelier, ihr Lager und nicht zuletzt ihr Freund befinden. «Wer Kunst macht, muss beweglich sein», findet Nina Staehli und erzählt, dass der eigentliche Anstoss zum Wegzug das Stipendium gab, welches sie 2007 vom Kanton Zug erhielt und das ihr erlaubte, drei Monate lang in der deutschen Bundeshauptstadt zu wohnen und zu arbeiten. Voll reingestürzt in neue Projekte habe sie sich damals. Somit lag es auf der Hand, dass sie nach Ablauf der drei Monate auf eigene Regie und Kosten den Aufenthalt verlängerte, Bekanntschaften intensivierte, sich an Ausstellungen beteiligte und eine Bleibe suchte und fand. «Man braucht so wenig: ein paar Freunde, eine kleine Wohnung», erzählt sie und räumt ein, welche Möglichkeiten sich auftun, wenn man bereit sei, die Ansprüche etwas runterzuschrauben und sich von fixen Vorstellungen zu lösen. Als sie für kurze Zeit in die Schweiz kam, realisierte sie sofort: «Berlin ist meine Stadt. Hier findet eine künstlerische Auseinandersetzung statt, hier kann ich mich messen, hier bin ich gefordert.»

 

In der Bildhauerwerkstatt des BBK (Bildungswerk Berlin), einem alten, denkmalgeschützten Koloss im Stadtbezirk Wedding, formt, modelliert und giesst Nina Staehli seit nunmehr zwei Jahren ihre mal hoch obskuren, mal rührend schlichten Objekte, um sie später an den verschiedensten Orten der Welt zu kontexualisieren oder in Galerien auszustellen. In der Künstlerfabrik, die jährlich von rund 250 internationalen Künstlern genutzt wird, hat Staehli einen guten Arbeitsort gefunden. Sie gerät ins Schwärmen, wenn sie davon erzählt. Nicht nur, weil sie hier von kompetenten Werkstattleitern umgeben ist, die, falls nötig, Hilfe bieten, sondern weil sich hier immer wieder neue, interessante Kontakte ergeben. Der Arbeitsort entspricht in jeder Hinsicht Staehlis Vorstellungen: grosszügig, unbeständig, lebendig. Dass diese sich nicht im trendigen Prenzlauerberg, sondern mitten im Türken- und Araberviertel befindet, passt zur unprätentiösen Arbeitsweise der Schweizer Künstlerin.

 

Eine Grenzgängerin war sie schon immer. «Es zog mich weg, ich hatte Fernweh», so Nina Staehli. Mit 22 Jahren verreiste sie nach Rom, um eine Theaterschule zu besuchen. Nach der Hochschule für Gestaltung suchte sie abermals das Weite, realisierte Projekte in London, Tokio und Genua, um sich an letzterem Ort für einen längeren Atelieraufenthalt niederzulassen. An weniger bekannte, aber nicht minder reiz- und bedeutungsvolle Destinationen führte sie schliesslich das Projekt «sotterraneo», bei dem es auf einer festgelegten Route an diversen Pilger- und Gedenkstätten skulpturale Eier zu vergraben galt. So etwa in Saint Maurice (CH), Pré-Saint-Didier (I), Sant’ Ambrogio (I), San Giovanni (I), San Stefano D’Aveto (I), San Daniele Po (I), San Martino della Battaglia (I), San Carlo (CH). Vor ihrer künstlerisch motivierten und äusserst abenteuerlichen Grabungsreise hat Nina Staehli die Bedeutung der Ortschaften und die Geschichte der Heiligen, denen die Kirchen geweiht sind, eingehend recherchiert und somit ihrem Credo «Reisen verfeinert den Geist» Folge geleistet.

 

Die Bereitschaft, sich auf Kunst einzulassen, ist im beschaulich-netten Cham begrenzt. Nina Staehli erlebt das immer wieder, wenn sie entsprechende Offensiven wagt. Ein Beispiel?  Die «Skandalfigur» - eine Art schmutzig-schmelzender Schneemann, dessen knallorange, imposante Nase statt im Gesicht, beim Geschlecht platziert ist – präsentierte sie im Schaufenster ihres Ateliers und wollte so auf das Thema der Klimaerwärmung aufmerksam machen. Die Passanten nahmen den Faden nicht auf. Deren Enervierung galt nicht dem klimabedingt verkümmerten und von Feinstaub verschmutzten Schneemännchen, sondern  dem orangefarbenen Phallus.

 

Ein Zehnstunden Arbeitstag ist für Nina Staehli keine Seltenheit. Manchmal freilich, machen ihr der Staub und der Lärm der Kunstfabrik zu schaffen. Dann trifft sie die Härte der Grossstadt in ihrem ganzen Ausmass und es kommt vor, dass sich die Naturliebhaberin nach frischer Schweizer Bergluft sehnt. A-propos Heimat. Kennt sie Heimweh? Nina Staehli schaut irritiert, denkt lange nach und meint dann in unsentimentalem Ton: Wenn schon, ist es das Werkzeug, das mir manchmal fehlt. Grad neulich hätte sie den Stiroporschneider für das Abtragen einer Skulptur brauchen können, doch das lag nicht in Berlin, sondern im Atelier an der Luzernerstrasse 22 in Cham.